Wie sieht es momentan aus in Bolivien und wie kommen die Projekte damit zurecht? Matthias Schaider hat aufgrund von aktuellen Mail- Zusendungen unserer Projekte vor Ort einen Bericht geschrieben, der im „Bergsträßer Anzeiger“ veröffentlicht wurde. Nachfolgend der Pressetext:

BA-Schaider

Das Virus trifft Bolivien mit voller Wucht

Strenge Quarantänemaßnahmen, kein funktionierendes Gesundheitssystem.

„Wir leben hier in einer sehr strengen Quarantäne. Bolivien hat kein Gesundheitssystem mit Schutzkleidung für Ärzte und Atmungsgeräten, und die Armen leben auf engstem Raum zusammen“, dieser Situationsbericht von Pfarrer Neuenhofer beschreibt die aktuelle Lage in Bolivien. Ludwig März, Vorsitzender des Bensheimer Hilfsvereins Inti Runa, hält in diesen Tagen besonders engen Kontakt zu den Verantwortlichen der sozialen Einrichtungen vor Ort.

„Persönlich lebe ich seit Wochen wie in einem Gefängnis und darf – wegen meines Alters – keinen Schritt vor die Tür gehen. Aber es geht mir gut, ich bin gesund und munter und warte – wie wir alle – auf bessere Zeiten“, schildert Brigitte Pleyer, Leiterin des Straßenkinderprojekts „Oqharikuna“ in Sucre, die Lage. Heime und Schulen sind geschlossen, ein „Homeschooling“ gibt es nicht. Auch sie betont: „Die medizinische Betreuung ist einfach katastrophal.“

Seit März gilt für das ganze Land eine Ausgangssperre, die am 10. Mai in eine sogenannte dynamische Ausgangssperre mit gelockerten Maßnahmen umgewandelt wurde. Verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Die Preise für Desinfektionsmittel und Gesichtsmasken sind massiv gestiegen, wenn sie überhaupt noch erhältlich sind. Alle Flüge von und nach Europa wurden gestrichen und der Luftraum über Bolivien ist geschlossen.

Die Krankenhäuser sind nicht im Geringsten vorbereitet auf das, was auf sie zukommt. „So sind wir jetzt gefordert“, schreibt Stefan Gurtner, Gründer des Kinder- und Lehrlingsheims Tres Soles in La Paz. „Wir haben die hygienischen Maßnahmen verdoppelt und müssen die Kinder nun den ganzen Tag in Tres Soles beschäftigen. Die Jugendlichen im Studenten- und Lehrlingsheim sind aufgefordert worden, falls möglich, nach Hause zurückzukehren. Jetzt muss ich schnellstens nach Hause, Polizei und Militär beginnen zu patrouillieren“, schreibt der gebürtige Schweizer. Auch Gurtner betont, dass die offiziellen Statistiken nicht annähernd die Realität abbilden. Für seine Arbeit bedeutet die aktuelle Lage: „Wir haben die Gruppen in unseren Einrichtungen noch weiter verkleinert. Die drei kleinsten Jungen sind in der Familie des Psychologen untergebracht, die beiden kleinsten Mädchen bei der Sozialarbeiterin.“

Auch für die Helferinnen und Helfer um Pfarrer Neuenhofer stellt die aktuelle Situation ein zusätzliche Herausforderung dar: „Wir haben zur Zeit ein riesiges Hilfsprogramm, weil so viele unserer Straßenkinder hungern. Im Augenblick haben wir 1.350 Kinder und arme Mütter, die wir jede Woche zwei Mal im Ambulanz-Fahrzeug des Krankenhauses besuchen. Du kannst Dir das Elend kaum vorstellen“, schreibt Neuenhofer an März.

Auch die politische Lage in Bolivien ist derzeit äußerst angespannt. Es tobt eine Debatte um den Termin der weiterhin ausstehenden Neuwahlen. Der für den 3. Mai geplante Urnengang war von der Übergangsregierung durch Ausrufung von Corona-Maßnahmen abgesagt worden. Begleitet wird die Debatte von heftigen Unruhen auf den Straßen.